Die Story in Kürzestform: Nach einem Bericht über einen tragischen Todesfall in der Gemeinde wurde der stellvertretende Chefredaktor Christoph Lehmann – nach 15-jähriger Tätigkeit und vier Monate vor seiner Pensionierung – freigestellt. Ausserdem wurde der befristete Arbeitsvertrag mit Chefredaktor Thomas Renggli nicht verlängert.
Darauf lancierten Renggli und Lehmann ein unabhängiges Konkurrenzprodukt. Weil die Printproduktion teuer ist, beschränkte sich das Format mit dem Namen «Muur Pur» vorderhand auf vier Seiten. «Unabhängiger Lokaljournalismus ist essenziell für die Meinungsfindung in einer Demokratie. Und wenn der Gemeinderat – wie im Fall der Maurmer Post – die redaktionelle Hoheit über die Gemeindezeitung hat, ist dieser Prozess ausgesetzt», so Thomas Renggli.
Nun geht das unabhängige Projekt in die nächste Phase. Die Initianten gründen den «Verein Maurmer Zeitung». Dieser soll in der Gemeinde breit verankert werden. Vereine, Gewerbe und interessierte Bewohnerinnen und Bewohner sind aufgerufen, mitzumachen: entweder als Mitglieder, als Inserenten, als Donatoren.
Ausserdem wurden Format, Name und Gestaltung des Blattes angepasst. Die Publikation erscheint ab dem 14. Juni unter dem Namen Maurmer Zeitung. Diese soll unabhängig über die Maurmer Politik und über wichtige lokale Ereignisse berichten, wie es weiter heisst. Die Redaktion bleibe in der Gemeinde, die Produktion, übernehme die Tudor Dialog, Gossau, Herausgeberin verschiedener Lokalblätter im Zürcher Oberland.
Zehn Mal pro Jahr soll die Maurmer Zeitung in jedem Briefkasten der Maurmerinnen und Maurmer zu finden sein. Weitere Themen werden tagesaktuell auf www.mz-online.chaufgeschaltet.
Wenn ich richtig gezählt habe, durfte ich 38-mal die Maurmer Post verantworten. Es war eine herausfordernde, vielschichtige und hochspannende Arbeit – irgendwo im Dunstbereich zwischen Journalismus, Gesellschaft und Politik.
Die Zeit zwischen dem 1. Mai 2023 und Mitte März 2024 hat mich in meiner Meinung gestärkt. Der Lokaljournalismus ist die Königsdisziplin unseres Metiers. Er liefert einen wichtigen Beitrag zur Diskussionskultur und ist ein unverzichtbares Element der Demokratie – gerade weil verschiedene Meinungen zu (fast) jedem Thema bestehen. Oder haben Sie schon eine Gemeindeversammlung erlebt, an der alle geschlossen der Parole des Gemeinderates folgten?
Ich verstand meinen Job als medialer Gemeindeangestellter als Auftrag für eine professionelle und reflektierende Berichterstattung. Und ich bin je länger je mehr der Meinung, dass Maur – mit mittlerweile 11‘000 Einwohnern zu Stadtgrösse gewachsen – eine facettenreiche und pointierte Zeitung verdient. Schliesslich bewegen uns ziemlich exakt jene Themen, die auch kantonal und national den Puls der Öffentlichkeit diktieren.
Doch leider ist diese Zeit für mich zu Ende gegangen. Die Maurmer-Post-Kommission, gemäss Redaktionsrichtlinien und Leistungsauftrag der Gemeinde Trägerin der redaktionellen Hoheit hat ihr Urteil über den (mittlerweile abgetretenen) Chefredaktoren gesprochen: Ungenügend bis schlecht! Widerstand zwecklos.
Ich gebe es zu: Das Verdikt enttäuschte mich. Noch mehr enttäuschte mich aber das Verhalten der politischen Instanzen. Ich lebe seit rund 50 Jahren in unserer Gemeinde. Und ich habe Maur stets als einen Ort wahrgenommen, in dem in dem man sich respektiert und mit Anstand und Höflichkeit begegnet – in dem man sich kennt
Der Tod des Jahrhundertfussballers war der traurige Schlusspunkt des Jahres 2022. Wie ein Sohn aus ärmlichsten Verhältnissen den Sport revolutionierte. Ein persönlicher Nachruf.
Geboren wurde er am 23. Oktober 1940 als Edson Arantes do Nascimento in Três Corações, einem Ort in der brasilianischen Provinz. Sein erstes Geld verdiente er als Schuhputzer – 15 Dollar pro Monat. Als „Pelé“ avancierte er in den 1950-er Jahren zum vielleicht berühmtesten Sportler der Erde. Sein erster Profivertrag beim FC Santos hatte ihm 200 Dollar pro Monat eingetragen.
Als ich ihm 2013 am Rande der Gruppenauslosung zur WM-Endrunde 2014 in Brasilien in einem Ferienressort in Salvador de Bahia für ein Interview gegenüber sass, fragte ich ihn – wie ich ihn Anreden dürfe. Schliesslich verlangt sein Übername „O Rei“ (der König) eigentlich einen Adelstitel. Pelé aber sagte – und das obwohl eine Portugiesisch-Dolmetscherin daneben stand – in gutem Englisch: „Bitte nenn mich einfach Pelé – Pé heisst auf Portugiesisch Fuss. Daraus hat mein Vater den Namen abgeleitet. Dabei war ich so stolz, dass ich Edson getauft wurde – benannt nach Thomas Edison, dem Erfinder der Glühbirne. Als ich auf die Welt kam, leuchteten in den brasilianischen Bergwerken die ersten elektrischen Lampen. Aus diesem Grund nannten mich meine Eltern Edison. Das i ist in der Geburtsurkunde allerdings verloren gegangen. Aber heute kann ich bestens mit Pelé leben.“
Wir lachten – so wie wir in der folgenden Stunde noch einige Mal herzhaft lachen sollten. Abgemacht war ein Gespräch von 20 Minuten Dauer. Aber Pelé hatte offenbar Lust und Zeit, auf die Fragen des Schweizer Journalisten einzugehen. Ich spürte schnell: Vor mir sass ein Mann, der mit sich und der Welt im Reinen war – dessen grössten Erfolge zwar schon Jahrzehnte zurücklagen, der die Leichtigkeit, Grandezza, Verspieltheit und Lebensfreude aber auch mit 73 Jahren noch auslebte, als habe er soeben Brasilien zum WM-Titel geführt.
Pelé setzte als Fussballer Massstäbe, die bis heute unerreicht blieben: 1363 Spiele, 1281 Tore, als einziger Spieler der Geschichte dreifacher Weltmeister. 26 Titel in 17 Jahren. Als er 1958 in Schweden seinen ersten WM-Titel gewann, war er 17 Jahre jung – und tauchte das Turnier mit seinen Finten und Toren in einen zauberhaften Glanz. Als er zwölf Jahre später in Mexiko die Jules-Rimet-Trophäe das dritte Mal in die Höhe stemmte, hatte ihn vor dem Turnier niemand mehr auf der Rechnung gehabt – doch wiederum wurde er zur überragenden Figur seiner Mannshaft.
Pelé besass technische Qualitäten, wie man sie zuvor im Fussball noch nie gesehen hatte – und er hatte eine Ausstrahlung, die ihn weit über die Grenzen des Sports zu einem Vorbild machte. Und obwohl er praktisch im Jahresrhythmus Angebote aus den europäischen Topliegen erhielt, blieb er „seinem“ FC Santos (in São Paolo) immer treu – wenn auch nicht ganz freiwillig. In Brasilien war er quasi zum unverkäuflichen Nationalheiligtum erklärt worden. Erst im Herbst der Karriere zog es ihn für zwei Jahre nach New York zu Cosmos. In besagtem Interview fragte ich ihn damals, weshalb er nie nach Europa gewechselt hatte. Seine Antwort: „Für mich war Santos immer die beste Wahl – sportlich und atmosphärisch. Ich hätte zwar bei Real Madrid viel mehr Geld verdienen können, aber das zählte für mich nicht. Ich wollte dort spielen, wo ich mich wohl fühle und das Umfeld am besten stimmt.“
Die Diskussion über den grössten Fussballer der Geschichte ist ebenso alt wie umstritten. Eine verbindliche Antwort lässt sich selbst in einer basisdemokratischen Abstimmung nicht generieren. Sie wird jedes Jahr wieder aufgeworfen – auch 2022 nach der WM in Katar: Messi oder Mbappé? Auf die Frage, welcher heutige Spieler am ehesten mit ihm zu vergleichen sei, sagte Pelé: „Von der Rolle, die er in seiner Mannschaft spielt, kommt Messi meiner Spielweise am nächsten.“
Letztlich ist die Antwort nur eine Momentaufnahme im grossen Kontext. Die FIFA legte sich fest und kürte Pelé zum „Weltfussballer des 20. Jahrhunderts“. Das Internationale Olympische Komitee ging noch einen Schritt weiter und ernannte den brasilianischen Ausnahmekönner zum „Sportler des Jahrhunderts“.
Günter Netzer, der prägende Stilikone der deutschen Fussball-Geschichte, sagt über Pelé: „Er war der beste – ohne Wenn und Aber. Seine Lebensgeschichte ist herausragend, seine Erscheinung, seine Ausstrahlung. Er wurde aus den kleinsten Anfängen und bescheidensten Verhältnissen in die Welt katapultiert, aber hat sich den Herausforderungen immer gestellt. Sein Status entsprach demjenigen von Cristiano Ronaldo heute. Aber Pelé trafen die öffentlichen Begehrlichkeiten und das globale Interesse praktisch ohne Vorwarnung und Vorbereitung. Trotzdem hat sich Pelé nie verändert. Er hat sein Leben so geführt, wie er es immer geführt hatte, blieb sich selber treu und ist immer ehrlich, menschlich und bescheiden geblieben.“
Besser kann man Edson Arantes do Nascimento nicht beschreiben – und die Worte Netzers decken sich mit dem Eindruck von jenem Menschen, den ich vor neun Jahren in Brasilien kennenlernen durfte. Drei Jahre später traf ich Pelé nochmals – am Vorabend der Euro 2016 in Frankreich. Er war damals an einem PR-Event mit Diego Maradona die grosse Attraktion. Pelé und Maradona – die beiden trennten 20 Jahre Alter, aber auch sonst ganze Welten. Maradona war ein Schatten seiner besten Tage: aufgedunsen, verlebt – irgendwie grün und gelb im Gesicht. Die Fans jubelten ihm zu, doch das Leben hatte ihn längst im Abseits zurückgelassen.
Dagegen strahlte Pelé etwas Staatsmännisches und Würdevolles aus. Er ging nach einer Hüftoperation an Krücken. Aber er war noch immer der, der er schon 1970 nach dem WM-Final 1970 gegen Italien in Mexiko gewesen war: der König. Ohne Wenn und Aber.
Daran muss ich heute mehr denn je denken. Mit Pelé verliert der Fussball seinen vielleicht grössten Könner der Geschichte. Und die Welt verliert eine Persönlichkeit, die auch den nächsten Generationen als grosses Vorbild dienen kann. Lieber Pelé, die Welt verneigt sich vor Dir und Deinem Lebenswerk.
Rolf Knie lädt in seiner Galerie in Rapperswil-Jona zur Vernissage – und verbreitet mit seinen neuen Bildern Farbe, Freude und Fröhlichkeit.
«Kunst kommt von Können. Käme es von Wollen, hiesse es Wulst.» Die Worte des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche kommen einem unweigerlich in den Sinn, wenn man durch die neue Ausstellung von Rolf Knie in dessen Galerie an der Rütistrasse in Rapperswil-Jona schreitet.
Der Universalkünstler ist auch mit 73 Jahren noch voller postjuvenilem Tatendrang und offenbar von mehreren Musen geküsst – darunter ganz sicher seine Ehefrau Belinha. Er besitzt den exakten Pinselstrich und das perfekte Auge für die Perspektive. Als er seine Freunde und Gäste am Samstag zur Vernissage empfängt, sagt er nicht ohne Stolz: «Ich darf heute dreissig neue Bilder präsentieren – vorwiegend Tier- und Zirkussujets.»
So farbenfroh und vielschichtig wie die gezeigten Werke ist auch das Publikum: die Luzerner Nationalrätin Yvette Estermann, Verleger Bruno Hug oder Eishockeylegende Morgan Samuelsson. Der Schwede gibt zu, dass er ein «Kunstbanause» sei. Umso enthusiastischer gibt sich Schwiegermutter Eva Vandenbrouck: «Ich liebe die Farben und den Ausdruck in Knies Bildern.»
Eventmanager Gerard Jenni outet sich als «glücklicher Besitzer» von mehreren Knie-Exponaten, der Schwyzer Ständerat Alex Kuprecht empfindet die Bilder als «wohltuenden Farbtupfer in schwierigen Zeiten» und Sängerin Monique erzählt bestens gelaunt, dass sie schon als Kind in Ostermundigen auf den Circus Knie gewartet habe, «um dann die Tiere vom Bahnhof zum Wankdorf-Areal zu begleiten.»
So ist die Eröffnung der Ausstellung wie ein grosses Familientreffen – an dem bald schon die Mehrheit der Bilder verkauft oder reserviert ist. Rolf Knie, unrasiert, aber charmant und galant wie als Teenager, kommt ins Philosophieren: «Ich hatte nie Zeit, zu verlieren. Denn Zeit ist für einen bildenden Künstler der grösste Feind. Er kann arbeiten und schöpferisch tätig sein bis er umfällt.» Talent und Inspiration allein genügen für eine erfolgreiche Laufbahn als Künstler bei weitem nicht. Disziplin und Wille, aus den Veranlagungen etwas zu machen und sich stetig zu verbessern, seien ebenso wichtig, sagt der Meister – und hält es mit Konfuzius: «Der Weg ist das Ziel».
Die Besucher seiner Vernissage applaudieren, stossen an und sind sich beim Verlassen der Galerie sicher: Rolf Knie hat den richtigen Weg gefunden. Definitiv.
Linth24 hat einen neuen Chefredaktor: Per sofortübernimmt Thomas Renggli die redaktionelle Verantwortung für das Online-Portal.
Linth24 hat mit Thomas Renggli einen neuen Chefredaktor. Der 50-jährige Journalist und Autor bezeichnet sich als „Schreiber aus Leidenschaft“. Er arbeitete als Redaktor für die Neue Zürcher Zeitung und als Kolumnist und Reporter für die Weltwoche, die Schweizer Illustrierte und den Blick. Danach war er als freier Journalist, Buchautor und Besitzer der Kommunikationsagentur „RenggliText“ tätig. Ausserdem ist Renggli Autor von diversen Büchern. Unter anderem hat er die Bestseller „Rodriguez – drei Brüder, eine Familie“, „Bernhard Russi – der ewige Olympiasieger“, „100 Jahre Knie – die Schweizer Zirkusdynastie“ und „Hans Imholz, der Reisepionier“ verfasst.
Thomas Renggli wird als Chefredaktor von Linth24 tätig sein, aber auch die übergreifende Redaktionsleitung aller 17 im Verbund von Portal24 (www.portal24.ch) agierenden Online-Portale übernehmen. Ausserdem ist er für die Etablierung von weiteren Plattformen zuständig.
Zu seinem Engagement im Verlag von Linth24 sagt er: „Der weitere Aufbau des Verbundes von lokalen Onlineplattformen in der ganzen Schweiz ist eine der interessantesten Aufgaben im heutigen Journalismus. Ich freue mich sehr, Teil dieses ambitiösen Unternehmens sein zu dürfen.“
Renggli übernimmt die Nachfolge des bisherigen Chefredaktors Rolf Lutz. Linth24 dankt Rolf für sein grosses Engagement und wünscht ihm alles Gute. Rolf Lutz wird weiterhin als freier Mitarbeiter für Linth24 tätig sein.
Im Winter geht es im halsbrecherischen Tempo talwärts. Nun herrscht leise Trauer. Über dem Cresta Run in St. Moritz wehrt die britische Fahne auf Halbmast.
Der Tobogganing Club in St. Moritz, die Vereinigung der Skeleton-Fahrer, ist die grösste britische Enklave der Schweiz. Im Klubhaus ist alles „very british“, getrunken wird feiner Single Malt, gesprochen im noblen Oxford-English. Rund die Hälfte der 1240 Mitglieder stammt aus dem Vereinigten Königreich – darunter Präsident James Sunley und CEO Martin Greenland. Als Schirmherrin des Vereins waltet Duchess Sophie, Countess of Wessex, Ehefrau von Prinz Edward.
Entsprechend hat der Tod von Queen Elizabeth II auch im Engadin tiefe Bestürzung ausgelöst. Martin Greenland sagt: „Die Queen hat unser Land geführt und geeint, ohne dass sie politische Macht besass. Sie hinterlässt eine grosse Lücke.“ Persönlich traf Greenland die Queen zweimal – als er in seiner Jugend im schottischen Morayshire dieselbe Schule besuchte wie Prinz Andrew. Auf die Frage, ob er bei dieser Gelegenheit mit der Monarchin gesprochen habe, antwortet er lächelnd: „Mit einer Königin spricht man nicht – man wartet, bis man von ihr angesprochen wird.“
Ansonsten sind die Mitglieder des Tobogganing Clubs weniger zurückhaltend. Ihr Hobby ist die rasante Schussfahrt durch den Cresta Run. Dabei handelt es sich um die schnellste Verbindung zwischen St. Moritz und Celerina. Rekord: 49,92 Sekunden – aufgestellt 2015 vom irischen Baron Clifton Hugh Lancelot de Verdon Wrottesley und mit Dutzenden Flaschen Whisky begossen. Die Rhätische Bahn braucht weniger Sprit, aber vier Minuten und 50 Sekunden länger. Die spektakulärste Kurve des Cresta Run heisst „Shuttlecock Corner“ (Federballecke). Dort fliegt laut Statistik jeder 14. Fahrer ins vorsorglich aufgeschichtete Stroh und darf deshalb Member of de honorable Shuttlecock Club werden und die Shuttlecock-Krawatte tragen.
Sogar die Londoner „Times“ berichtete schon über die Events, obwohl nicht immer ein Brite siegt. Zwischen 1948 und 1986 gewann der St. Moritzer Gemüsehändler Nino Bibbia 232 Mal. Sein schärfster Rivale kam auf 36 Erfolge. Er war Engländer wie, of course, alle Tobogganing-Chairmen.
So weht über dem Cresta Run der britische Geist. Dies ist in diesen Tagen trotz Sommerpause am Klubhaus besonders deutlich sichtbar: Nach dem Tod der Queen wurde der Union Jack umgehend auf Halbmast gesetzt.
Der neue Schwingerkönig Joel Wicki, 25, ist ein Mann mit Bodenhaftung und Demut. Zuhause in Sörenberg feiert er mit Familie, Freundin – und seinem Lieblingsbundesrat.
Text: Thomas Renggli
Flühli-Sörenberg. Die flächengrösste Gemeinde des Kantons Luzern ist im Sommer ein beschaulicher Fleck Erde. Normalerweise. Der Triumph von Joel Wicki am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest hat den 2000-Seelen-Ort aus dem Sommerschlaf gerissen. Gemeindepräsidentin Hella Schnider ist diese Woche an allen Fronten gefordert: „Seit Sonntag herrscht der Ausnahmezustand.“ Die Bäuerin muss für den Empfang am Mittwoch den Gemeinderat eiligst zum OK umfunktionieren. Rund 5000 Besucher strömen in den Ort – darunter Ueli Maurer der höchste Schwinger-Fan des Landes und „Lieblings-Bundesrat“ des neuen Königs – und weitere Luzerner Vertreter(innen) der Bundespolitik (Ständerat Dominik Müller, Nationalrätin Ida Glanzmann).
Über allen aber thront der neue Regent der Eidgenossenschaft – Joel I. „Es macht mich stolz, in meiner Heimat von all diesen Menschen derart euphorisch empfangen zu werden. An seiner Seite: Mutter Esther, Vater Herbert, Bruder Kevin und Freundin Alicia. Der Königsempfang besitzt sporthistorische Dimensionen. Joel Wicki ist der erste Innerschweizer auf dem Thron seit 36 Jahren (und erst der zweite insgesamt). Heinrich „Harry“ Knüsel, der Sieger von 1986, hat endlich einen Nachfolger gefunden.
Doch der Weg zum Ziel war lang und beschwerlich. Als Kind deutete wenig darauf hin, dass Joel je ein ganz Böser wird. Mit sieben Jahren litt er an einer heimtückischen Virusinfektion, die Lähmungserscheinungen provozierte und einiges in Frage stellte. Klein Joel lag wochenlang im Spital und musste starke Schmerzmittel schlucken. Schliesslich kam er aber wieder auf die Beine – ohne allerdings zu einem Hünen heranzuwachsen. Im Gegenteil: Der Schwingsport, den er durch seinen Vater und Bruder kennen und lieben lernte, schien ihm eine Nummer zu gross: „Da muss zuerst noch etwas Dünger in die Schuhe“, pflegte der Schulleiter in Sörenberg, Guido Bucher, zu sagen. Heute ist Bucher Mediensprecher des Innerschweizer Schwinger-Verbands und mächtig stolz auf seinen ehemals leichtgewichtigen Schüler: „Seine Leistung in Pratteln war grandios.“ Fast noch mehr freut sich der Pädagoge darüber, dass Wicki „noch genauso tickt wie früher“: „Er liebt Tiere und die Natur. Und er ist grundehrlich – und braucht die Öffentlichkeit eigentlich nicht.“ Schon in seiner Kindheit sei dies so gewesen: „Joel liebte das Schwingen immer. Im Scheinwerferlicht aber wollte er nie stehen.“
Das betrifft auch die Momente seiner persönlichen Schicksalsschläge. 2013 wurde sein Vorbild und Schwinger-Kamerad Benno Studer bei einem Amoklauf in einer Schreinerei in Menznau erschossen. Darauf angesprochen, wird Wicki nachdenklich: „Jedes Mal wenn ich durch Menznau fahre, beginnt mich Bennos Schicksal von neuem zu beschäftigen.“ 2016 erkrankte sein Vater an Darmkrebs – und kämpfte sich dank Frühbefund und Chemotherapie ins Leben zurück.
Es sind jene Ereignisse, die Joel Wicki demütig werden lassen – und ihm vor Augen führen, dass der Sport nicht alles ist – dass die Niederlage im Schlussgang des Eidgenössischen 2019 ebenso nur ein kurzer Dämpfer war wie der knapp verpasste Sieg am Unspunnen-Fest 2017. „Es ist schön, der König der Herzen zu sein“, sagte er damals. So war es ernstgemeint, als er am Sonntag nach dem Gewinn des Königstitels angekündigte: „Am Montag gehe ich ganz normal auf den Bauernhof und arbeite mit den Kühen. Am Mittwoch müssen schliesslich die fremden Gusti zu ihren Besitzern zurück. Und es bedeutet mir sehr viel, sie würdig zu verabschieden. “ Da hatte er allerdings die Rechnung ohne den Wirt gemacht – beziehungsweise ohne die Medien. Anstatt zu heuen und zu misten, musste Joel Wicki Fernseh-, Radio- und Zeitungsinterview im Halbstundentakt geben. „Das gehört halt dazu“, sagt er mit royaler Gelassenheit im Hotel Rischli in Sörenberg.
Die Ruhe, die der neue König verströmt, wirkt in diesen oft überhitzten Zeiten wie ein Wink mit dem Zaunpfahl – und kann dem Schwingen neue Sympathien einbringen. Zwar vertraut auch Wicki den Diensten eines Managers, gleichzeitig sagt er aber: „Das wichtigste ist mir mein persönliches Umfeld – meine Eltern, mein Bruder und meine Freundin. Und mein Kindheitstraum ist es, einen eigenen Bauernhof zu führen.“ Dafür möchte er gerne allfällige Mehreinamen investieren: „Es macht mich glücklich, ein schönes Zuhause zu haben. Das gibt einem ein Gefühl der Sicherheit.“ Auch sei es in einem Sport wie Schwingen vernünftig gewisse Reserven anzulegen: „Man weiss nie, was medizinisch noch auf einen zukommt.“
Es sind leise Worte, die gerade bei den Traditionalisten gut ankommen – die bei Wicki absolut glaubhaft tönen. Zwar hat der Mann in den vergangenen Jahren ein erstaunliches Medienbewusstsein und eine bemerkenswerte Abgeklärtheit entwickelt, dennoch wirkt er noch wie jener kleine Schüler, von dem Primarlehrer Bucher liebevoll sagt: „Er war kein Engeli, aber konnte immer zwischen richtig und falsch unterschieden.“
Im Sägemehl machte er am vergangenen Wochenende alles richtig – und bestätigte damit den Eindruck der gesamten Saison. Im Jahr 2022 verlor Wicki nur drei Gänge. In Pratteln war er der konstanteste und technisch beste Schwinger. Dass der entscheidende Schwung im Schlussgang von gewissen Fachleuten als nicht regulär eingestuft wurde, nervt ihn: „In unserem Sport entscheiden oft Sekundenbruchteile und Zentimeter. Zwei Meinungen sind in vielen Fällen zulässig.“
So oder so: Der gelernte Baumaschinenmechaniker, der sich derzeit in der Ausbildung zum Landwirt befindet, verkörpert mit seiner bodenständigen und naturverbundenen Art die Tradition des Schwingens wie kaum ein Zweiter. Und auch das Entlebuch hat in ihm den perfekten Botschafter gefunden. Hella Schnider, seit zwei Jahren Gemeindepräsidentin von Flühli-Sörenberg, sagt nicht ohne Stolz: „Wenn man sich einen typischen Entlebucher vorstellen will, könnte es genau Joel Wicki sein. Er ist bodenständig, respektvoll und bescheiden. Und er liebt die Landwirtschaft.“
Thedy Waser, seit neun Jahren technischer Leiter des Innerschweizer Schwinger-Verbands, betont derweil die sportliche Bedeutung von Wickis Sieg für die ganze Region: „Der Erfolg von Joel wird unserem Sport in der Innerschweiz enormen Schub geben. Nun haben die Jungen endlich wieder ein Vorbild, das ihnen zeigt, was alles möglich ist.“ Waser vergleicht Wicki mit dem Nidwaldner Marco Odermatt, dem derzeit komplettesten Schweizer Skifahrer: „Marcos Erfolge haben bei uns einen regelrechten Ski-Boom ausgelöst. Bei Joel wird dies im Schwingen ähnlich sein.“
Tatsächlich: In Sörenberg säumen Transparente auf praktisch jedem Meter die Strasse durchs Tal: „Sackstark Joel“- „Joel – Wir gratulieren Dir zu deinem tollen Erfolg“, „Herzlichen Glückwunsch Joel“. Und in der lokalen Volg-Filiale, wo normalerweise die Königsmutter Esther Wicki an der Kasse sitzt, wird die schwarzen Aktionstafeln kurzfristig zur Glückwunschbotschaft umfunktioniert: „Bravo König Joel – mer gratulierend ganz herzlich.“ Am Mittwoch schliesslich folgt die Zugabe für den Gekrönten. Es ist ein wahrlich majestätischer Anlass. Und er machte deutlich: Joel Wicki ist nicht nur der König in seinem Dorf. Er vertritt die ganze Innerschweiz – und hat das historische Zentrum des Schwingens aus einer 36-jährigen Lethargie befreit.
Freitag, der 13. Bei der Lektüre des „Tages Anzeigers“ stockte mir der Atem. Unter den Traueranzeigen steht ein Name, den ich nie an dieser Stelle sehen wollte – der mit so viel Leben gefüllt war, dass die Nachricht des Ablebens schon fast surreal tönt: „Walter J. Scheibli – 5. März 1959 – 10. Mai 2022“. 63 Jahre – nur. Wir wussten, dass es ihm nicht gut geht. Und trotzdem macht sein Tod sprachlos.
Als ich Walti vor rund 30 Jahren kennenlernte, begegneten wir uns vor allem an zwei Orten – an zwei Orten, die für sein Leben eine prägende Bedeutung besassen: Auf den Pressetribünen von Hardturm, Schluefweg, Hallenstadion und Letzigrund – und am Mittwochmittag jeweils in der Turnhalle Sihlhölzli. Dort rannten jene Sportjournalisten ihrer verlorenen Jugend nach, die für sich eigentlich einen Platz in der Fussballnationalmannschaft einforderten, aber anstatt das Tor vor allem die Schienbeine der Gegner oder die Sprossenwand trafen.
Walti besass diesen Anspruch nicht. Dafür war er zu bescheiden und bodenständig – und vermutlich auch zu realistisch. Obwohl mit gewissen technischen Fähigkeiten gesegnet und quasi der Zico von der Steinkluppe kannte er seine fussballerischen Grenzen ganz genau. Und die lagen bei der letzten Runde im Konditionstest oder bei der höchsten Intensitätsstufe des Mittelfeldpressings. Walti war ein Fussballer mit Herzblut und Leidenschaft, aber die dritte Halbzeit fand für ihn neben dem Platz statt – dort, wo es gesellig wird und die verbalen Ausführungen grösser sind als die Taten im Spiel davor.
Als Radioreporter gehörte Walter J. Scheibli zu den Besten des Landes. Wie sein Vater war er stets einer der ersten im Stadion und akribisch vorbereitet. Gab es Kollegen, die sich erst an der Pressekonferenz vor dem Spiel über die Personalsituation erkundigten, wusste Walti immer Bescheid. Und er kommentierte punktgenau und ohne Versprecher. Ich fragte mich immer wieder, weshalb er nie den Schritt zur SRG machte. Auf einen Fachmann wie Walter J. Scheibli darf eigentlich kein nationaler Sender verzichten. Aber auch in diesem Fall gilt: Walti nahm sich nie zu wichtig. Radio 24 war der perfekte Ort für ihn. Hier konnte er sein Hobby als Beruf ausleben, gleichzeitig noch für den „Unterländer“ schreiben – und so viel Unabhängigkeit bewahren, dass er nicht jeden Morgen um 8.30 Uhr einem Chef rapportieren musste.
Walti war ein Mann der sportlichen Underdogs. Den FC Unterstrass gab es für ihn auch im Ausland. In Deutschland schlug sein Herz für 1860 München – in England kokettierte er mit Millwall – jenem Klub aus den Londoner Docklands, der die Arbeiterklasse wie kein anderer Verein symbolisiert und schon die Qualifikation für einen Sechzehntel-Final des Liga-Cups wie Weihnachten, Geburtstag und Ostern zusammen feiert.
Walter J. Scheibli war ein Zürcher durch und durch. Dazu gehörte, dass er sich (im Gegensatz zu seinem Vater) nie auf einen Klub fixieren wollte. Er freute sich für den FCZ wie für GC – bejubelte die Siege von Kloten ebenso wie jene des ZSC. Und er war auch bereit, wenn es einen Fachmann für Handball oder die 100-Kilometer-Américain am Sechstagerennen brauchte. Walter J. Scheibli gehörte der immer rareren Spezies der journalistischen Generalisten an.
Vor allem aber war er ein wunderbarer Kollege und ein guter Freund – mit einem herrlichen Sinn für (englischen) Humor. Mit kaum einem konnte man herzhafter Lachen und die Spiele an der Theke genüsslicher Revue passieren lassen. Spätestens nach dem zweiten Bier mit Walti war man sich wieder sicher: Der Sport ist die schönste Nebensache – aber er ist eben doch nur eine Nebensache. Das änderte sich höchstens, wenn die englische Nationalmannschaft ein Penaltyschiessen gegen Deutschland verlor.
Walter J. Scheibli liebte das Leben und seine lockeren Seiten – und er war immer ein geselliger und unterhaltsamer Gesprächspartner. Doch er war auch eine ernsthafte und sehr sensible Persönlichkeit. Das realisierten wir vielleicht zu spät. Als sich kurz nach Weihnachten 2018 seine Mutter Margrit in die Ewigkeit verabschiedete, ging auch ein Teil von ihm. Sein Familiengefühl war so gross, dass er den Tod seiner Mutter nie verkraftete. Immer seltener kam er in die Stadien, sein Lächeln schien wie eingefroren. Die Fröhlichkeit, die seinen Vater Walter Scheibli bis heute umgibt, kehrte beim Junior nie mehr zurück.
Am 10. Mai endete sein irdisches Dasein – auch weil es Walti vermutlich so wollte. Er hinterlässt tief betroffene Freunde und eine grosse Lücke im Sportjournalismus – aber auch die Hoffnung, dass es ihm jetzt besser geht: dort, wo die Engel zwischen den Sternen einem Ball oder einem Puck nachjagen; dort wo auch seine Mutter einen Tribünenplatz hat.
Lieber Walti – wir werden Dich nie nie vergessen. Und wir sehen uns wieder! Ruhe in Frieden.
Rafael Nadal triumphiert in Melbourne nach epischem Kampf und stellt Roger Federer und Novak Djokovic in den Schatten. Hoch lebe der neue Tennis-König!
11‘000 Zuschauer in der Rod-Laver-Arena in Melbourne stehen auf ihren Sitzen. Ihr Jubel und Applaus lässt die Wände erbeben. Das Turnier, das während dreier Wochen vom Einreiseskandal um Novak Djokovic überschattet war, endet mit dem krönenden Höhepunkt – dem verdienten sportlichen Höhepunkt. Rafael Nadal, der 35-jährige Spanier aus Mallorca, der aufgrund seines Kraft- und Verschleiss-Tennis schon oft abgeschrieben wurde und noch vor zwei Monaten um die Fortsetzung seiner Karriere bangte, liefert sich mit dem zehn Jahre jüngeren Russen Daniil Medwedew einen epischen Kampf.
Nadal macht einen Zweisatzrückstand wett, führt im fünften Satz nach über fünf Stunden zweimal mit Break und ist nur noch zwei Punkte vom Sieg entfernt. Der Russe wehrt sich erbittert, ist mehrmals nur Zentimeter von der Wende entfernt. Doch Nadal hat sich im Stile eines Bullterriers in Partie und Gegner reingebissen. Und er lässt nicht mehr los. Nach fünf Stunden und 25 Minuten sinkt er auf die Knie, schreit seine Freude in die Nacht hinaus – und schreibt Geschichte: 21. Grand-Slam-Turnier hat Rafael Nadal jetzt gewonnen – einen Titel mehr als Roger Federer und Novak Djokovic. Und seine Dominanz könnte sich noch akzentuieren. Denn das nächste Grand-Slam-Turnier findet auf dem Sand von Roland Garros statt. Es ist quasi das Wohnzimmer des spanischen Tennis-Königs.