Im Sumpf und Morast durch Ebmatingen

Radsporthochburg Maur. In den 1970-er und 80-er Jahren blickte die Sportwelt einmal pro Jahr nach Ebmatingen. Und ein Weltmeister machte Dreck zu Gold.

Quer ist das Gegenteil von gerade und deshalb ein vorwiegend schräger und negativer Begriff. Die Querköpfe, Querschläger und Querulanten sorgen immer wieder für Querelen. Im mexikanischen Querétaro wurde 1867 sogar ein richtiger Kaiser standrechtlich hingerichtet.

Doch bekanntlich ist keine Regel ohne Ausnahme. Es gibt auch die positiven Querseiten – beispielsweise das musikalische Können der Querflötisten oder die Pedalkraft der Querfeldeinfahrer. In der moderne des Radsports werden diese zwar dem Cyclocross zugeschrieben – was nach einer Mischung aus griechischer Sage und mathematischer Gleichung tönt. Doch am wichtigsten hat sich in der agrarischen Sportkultur nichts geändert. Querfeldeinfahrer wollen mit Dreck ihre Erfolgsbilanz aufpolieren.

Dies war einst auch in der Gemeinde Maur so. Junge Radrennfahrer fühlten sich im Veloclub Uster unterecht behandelt und gründeten 1971 mit 16 anderen Radsportenthusiasten in der Schifflände Maur den Veloclub Forch. Erster Präsident war der erfolgreiche Maurmer Querfeldeinfahrer Fredi Stucki; nach ihm übernahm der Ebmatinger Roland Zinnert das Kommando. Der junge Verein trat sofort kräftig in die Pedalen, stellte zeitweise sechs lizenzierte Querfeldeinfahrer und bereicherte noch im Gründungsjahr den Schweizer Sportkalender um ein nationales Quer. Es sollte jener Anlass werden, der Ebmatingen faktisch auf die Sportlandkarte der Schweiz setzte. Zunächst fand das Quer aber in der Umgebung des Forchdenkmals statt.

Querfeldein war damals so etwas wie die „Nationalsportart“ im Zürcher Oberland. Entsprechend positiv fiel das Echo in den Medien aus. So positiv, dass sogar die Regierung des Kantons Zürich davon Wind bekam und ein hochoffizielles Verbot erliess. Es entspreche nicht dem Charakter einer Gedenkstätte wie dem Forchdenkmal, wenn in unmittelbarer Nähe ein Sportanlass durchgeführt werde. Widerspruch zwecklos!

Der VC Forch schluckte die bittere Pille, verabschiedete sich vom „entwürdigten“ Monument und suchte einen neuen, nicht denkmalgeschützten Tatort. Er fand ihn zwischen Binz und Ebmatingen – vorwiegend auf den „Ländereien“ der Familien Gut und Bantli, im Bereich Hasenbüel, Süessblätz, Leeacher. Doch auch dieser Parcours war von beschränkter Nachhaltigkeit.

Denn Ebmatingen wuchs und wuchs. Aus grünen Wiesen wurden mehr oder weniger schmucke Einfamilienhäuser mit mehr oder weniger gepflegten Vorgärten. Sie verdrängten den rustikalen Wald- und Wiesensport an die Peripherie des Dorfes – in Richtung Aesch.

Start und Ziel war fortan auf der Aeschstrasse, Fortsetzung kreuz und quer, bergauf, bergab, auf Asphaltstrassen, Wald- und Feldwegen, mitten durchs Gehölz. Die Festwirtschaft sorgte beim Schulhaus Looren für gute Laune und den überlebenswichtigen Umsatz. Auf dem 2,3 Kilometer langen Rundkurs, der von der Elite neunmal zu absolvieren war, massen sich die besten Querfahrer von nah und fern. Dazu gehörte auch Harald Grab, der heute an der Steimüristrasse 2 ein populäres Radsportgeschäft betreibt. Er erinnert sich mit einem leichten Frösteln: „Das Rennen fand in der Regel im Januar direkt vor den Schweizer Meisterschaften statt – bei normalerweise kalten Wetter. Oft waren die Räder so stark eingefroren, dass man sie vor dem Reinigen in der Scheune des Bauernhofs auftauen musste.“

Sportlich erwärmte das Velofest die Ebmatinger. Zwischen 1971 und 1988 fand es 13-mal statt (einmal international, einmal als Schweizer Meisterschaft). Der Ustermer Sportveranstalter Urs Ryffel, Gründungsmitglied des VC Forch, verdienten sich als OK-Präsident Meriten. Sein jüngerer Bruder Markus quälte sich in Ebmatingen dreimal durch den winterlichen Morast – ehe er sich definitiv für die Leichtathletik entschied, 1984 in Los Angeles über 5000 Meter Olympiasilber gewann und in Ebmatingen zum Ehrenstarter befördert wurde.

Am 25. September 1988 begrüsste Gemeindepräsident Robert Rietiker im Programmheft die Ebmatinger Querfamilie, wie sich später herausstellte, zum allerletzten Mal: „Politisch gehört der Ort des Geschehens, das Gebiet Benkelsteg/Looren, zur Gemeinde Maur; er liegt fast in der Mitte zwischen den Ortsteilen Forch, Binz/Ebmatingen und Maur. Mit dieser Feststellung möchte ich sie animieren, sich in unserer stattlichen Gemeinde etwas umzusehen.“

Die grossen Schlagzeilen machten aber nicht die landschaftlichen Vorzüge, sondern die Stars von damals. Viermal siegte in Ebmatingen der fünffache Weltmeister Albert Zweifel aus Rüti, je dreimal triumphierten Peter Frischknecht und Hermann Gretener, zweimal stand Erwin Lienhard zuoberst auf dem Podest und einmal Beat Wabel. Bis zu 4000 Zuschauer säumten die Strecke. Doch ausgerechnet die einzige internationale Austragung fand bei beissender Kälte, garstigem Eisregen, dichtem Schneetreiben und heftigen Sturmböen statt. Viele Zuschauer blieben zuhause – was dem Veloklubkassier einige schlaflose Nächte eintrug. Zum finanziellen Balanceakt gesellte sich immer öfter die Schwierigkeit, genügend freiwillige Helfer zu finden. So kam es, wie es kommen musste – und wie es vielen anderen Sportveranstaltungen gleich erging. Was 1971 mit viel Enthusiasmus begonnen hatte, endete 1988 mit dem Hissen der weissen Fahne. 32 Jahre später ist das Radquer von Ebmatingen Schnee von vorgestern. Der Quersport aber erlebt eine sanfte Renaissance. Im vergangenen Februar fanden auf dem Gelände des Militärflugplatzes Dübendorf zum ersten Mal seit 25 Jahren die Weltmeisterschaften wieder in der Schweiz statt. Und dabei riefen die Querfahrer in Erinnerung, was in den 1970-er und 1980-er Jahren zum Schweizer Allgemeinwissen zählte: Sie besitzen eine Gabe, die an König Midas aus der griechischen Sagenwelt erinnert. Sie können Schlamm und Dreck zu Gold machen.

Thomas Renggli

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert