Ein Telefon, eine Idee. Hans Imholz (87) erfand den Städteflug und demokratisierte das Reisen. Wie der Sohn eines Bäckermeisters eine der erfolgreichsten Schweizer Wirtschaftsgeschichten schrieb.
Ausschweifende Partys und überbordenden Feiern waren nie das Ding von Hans Imholz: „Dafür fehlten mir Zeit und Lust.“ Selbstdisziplin und Eigenverantwortung standen dem Bäckersohn aus der Zürcher Altstadt immer näher als gesellschaftliche Anlässe oder öffentliche Auftritte. Auch an die geschäftsfördernde Wirkung eines Businesslunches glaubt er nicht: „Ich habe Privates und Berufliches stets getrennt“. Dazu gehörte, dass er das Zeitfenster fürs Mittagessen sehr knapp hielt: dreissig Minuten für ein Birchermüesli und eine Tasse Kaffee im Café Arcade an der Birmensdorferstrasse 67 – unweit seiner Firmenzentrale. „Nicht einmal ein Glas Wasser hat er sich gegönnt“, sagt Ehefrau Doris Imholz (73) lachend.
Ende September 2006 war dann aber alles anders. Aus Anlass des 45. Geburtstags seines Unternehmens lud der Patron die ehemaligen Mitarbeiter zu einem grossen Fest in die Zürcher Maag-Halle ein: „Ich hatte das Bedürfnis, meine früheren Weggefährten wieder einmal zu sehen und mit ihnen über die guten alten Zeiten zu sprechen.“ Auf ein grosses Unterhaltungsprogramm verzichtete Imholz nicht nur aus Kostengründen: „Die Leute wollten ja vor allem miteinander reden.“
Insgesamt kamen an jenem Abend über 500 Gäste nach Zürich-West. Dabei war auch eine grosse Dichte an Prominenz. Denn so mancher späterer Schweizer Erfolgsmanager hatte in seiner Jugend das erste Geld als Reiseleiter bei Imholz verdient. Beispielsweise Thomas Kern, der langjährige CEO der Globus-Gruppe. Er jobbte von 1976 bis 1979 während seines Studiums als Reiseleiter für Imholz. Wie er sagte, sei die Juristerei nicht allzu streng gewesen und habe Raum für andere Aktivitäten gelassen. Oder Walter H. Diggelmann, der spätere Direktor der Swiss-American Chamber of Commerce. Er verdiente sich 1963/64 mit der Führung von Touristengruppen durch europäische Städte sein Studium.
Auch der nachmalige Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät machte seine ersten Schritte im Berufsleben zwischen 1972 und 1978 als Imholz-Tourguide. Der vielleicht berühmteste Reiseleiter in der Imholz-Geschichte war aber Roger Schawinski. Der spätere Medienpionier fand das Tor zur grossen weiten Welt nur einen Steinwurf von der Wohnung seiner Eltern entfernt. Schawinski, damals 21 Jahre alt, voller Tatendrang, aber als Student ohne eigene Mittel, trat ins Grossraumbüro, um sich als Reisleiter zu bewerben: „Ich hatte keine Ahnung vom Metier, aber ich wollte die Welt sehen.“
Bei Hans Imholz sei ihm sofort die pragmatische und effiziente Arbeitsmethode aufgefallen: „Er sass am Ende des Grossraumbüros an einem grossen Schreibtisch und war pausenlos am Telefon – um ihn herum waren fünf sechs junge Mitarbeiter versammelt, die Reiseunterlagen präparierten und in Couverts packten.“
In gewissen Sinne markierte der Jubiläumsanlass 2006 aber auch einen Schlusspunkt – und erzeugte eine Spur Wehmut und Melancholie. Denn nur kurz davor hatte der deutsche Konzern Tui die Marke Imholz vollständig integriert und den Namen Imholz faktisch aus der Reisewelt gelöscht. Der Firmengründer verfolgte diesen Prozess schon damals mit zwiespältigen Gefühlen: „Wer sein Geschäft verkauft, hat danach zwar kein Mitspracherecht mehr. Aber die Marke Imholz hätte weitaus mehr Möglichkeiten geboten – wenn man den Namen gepflegt hätte.“
Die Sehnsucht nach Schweizer Werten
Mit weiteren 15 Jahren Abstand wird Hans Imholz noch deutlicher: „Die Namensänderung und die Streichung der Marke Imholz waren Riesenfehler. Heute sehnen sich die Menschen nach verlässlichen Schweizer Werten – und dafür stand der Name Imholz.“ Er habe eigentlich immer damit gerechnet, dass sein Unternehmen ihn überleben werde.
Die Erfolgsstory von Hans Imholz hatte 1961 an der Usteristrasse im Zürcher Kreis 1 begonnen. Der frühere Kuoni-Angestellte, 27 Jahre jung und durch seine Lehrjahre beim Branchenkrösus mit der Materie bestens vertraut, mietet eine Zweizimmerwohnung und wagt den Schritt in die Selbständigkeit. Belegschaft: eine Sekretärin. Kerngeschäft: Organisation von Vereins- und Verbandsreisen. Dabei wartete er nicht, bis die Kundschaft zu ihm kam. Er durchstöberte Zeitungen und Verbandsorgane und stiess auf Reisevorhaben von Vereinen und Gruppen und erstellte gleich selber ein attraktives Angebot. Sein Erfolgsgeheimnis bestand auch immer in einem ausgeprägten wirtschaftlichen Realismus. Hans Imholz war nie ein Gambler oder Glücksritter. Acht Jahre hatte er jeden Franken zur Seite gelegt und besass nun 50‘000 Franken, um das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen – und zwar sprichwörtlich: „Ich habe nie auch nur einen Rappen von einer Bank bezogen“, sagt er heute, „ich wollte immer Herr über meine Lage sein.“
Seine Schlüsselidee war ebenso simpel wie bahnbrechend: Telefonverkauf. Damals eine Kulturrevolution wie vier Jahrzehnte später das Internet. Dazu kam eine Reiseform, die damals noch völlig unbekannt war: Städtetrips. Rückblickend sagt Hans Imholz: „Mit preisgünstigen Städteflügen weckte ich bei den Konsumenten Appetit auf eine Kurzreise in eine Stadt.“
1981 feierte das Reisebüro seinen 20. Geburtstag Ein Blick in die Jubiläumsbroschüre wirkt wie eine Zeitreise in ein anderes Leben – ein Leben mit Drehscheibentelefonen, elektrisch Schreibmaschinen und einem unförmigen IBM-Personal-Computer als Vorbote der Moderne. Zu der sich sanft andeutenden Digitalisierung steht: „Ein fortschrittliches Unternehmen ist zu allen Investitionen bereit, wenn dadurch der Dienst am Kunden verbessert werden kann“.
Doch im Zentrum blieb das Telefon – in seiner sperrigen schwarzen „Ur-Version“, wie es in den 1970-er Jahren von Emil Steinberger zum Kultobjekt befördert wurde. Hans Imholz posierte mit weissem Hemd, adrett gebundener Krawatte und graubraunem Sakko freundlich lächelnd mit der Hand auf dem Hörer. Daneben wurden die statistischen Details zum Boom der Telekomunikation geliefert: „Wie weitsichtig der Entscheid zum Telefon-Direktverkauf für Reisen und Ferien war, zeigt die Statistik über die Anruffrequenz in unserem Unternehmen: Allein im vergangenen Jahr (1980) erhielten wir rund 410‘000 Anrufe!“
Imholz nahm auch werbetechnisch das Schicksal in die eigenen Hände: „Alles, was in den Prospekten und in den Inseraten zu lesen war, stammte aus meiner Feder“. Von PR-Beratern oder Kommunikationsfachleuten hielt er nicht viel: „Das konnten wir selber ebenso gut – und erst noch billiger.“ Und die „unschlagbaren“ Preise waren ein Trick zur Kundenwerbung: „Das waren Ausgangsbeträge. Verdient haben wir mit den Extras.“
1967 landete er seinen ersten grossen Coup. Drei Tage Budapest bot er für sagenhafte 198 Franken an. Dieses Schnäppchen wurde dank einem schlauen Deal mit der ungarischen Fluggesellschaft Malev möglich. Um die Flugzeuge auszulasten, bot die Airline dem Schweizer Reispionier das Retourticket für 73 Franken an. Ein Bruchteil des offiziellen Verkaufspreises von 655 Franken. Und die auf Devisen erpichten ungarischen Hoteliers machten für harte Währung hochattraktive Preise. Imholz lieferte weitere attraktive Sonderangebote. Bald war das Zugticket im Arrangement inbegriffen. Und er erfand das Rabattsystem, lange bevor es Cumuluskarten und Superpunkte gab. Auf dem Hochglanzplakat von damals hiess es: „Jede Buchung am Telefon prämieren wir mit einem Telefonrabatt von 20 Franken auf unsere ohnehin schon günstige Preise.“ Dies ermöglicht vielen Schweizern ein völlig neues Ferienerlebnis. Wohl nicht wenige verdankten ihren ersten Flug der neuen preislichen Freiheit.
Der Imholz-Geist
Und auch die Angestellten von Imholz erlebten ein Gefühl, das sie vorher nicht kannte. Willy Noser, Weggefährte der ersten Stunde, spricht vom „Imholz-Geist“ und einer Aufbruchsstimmung, wie sie damals einzigartig war: „Wir entwickelten innerhalb unseres Unternehmens einen unheimlichen Zusammenhalt. Es war wie in einer erfolgreichen Fussballmannschaft. Jeder fühlte sich als wichtiger Teil des Puzzles.“ Dies sei auch auf den Führungsstil des Chefs zurückzuführen gewesen: „Hatte Hans Imholz Vertrauen in einen Mitarbeiter gefasst, schenkte er ihm grosse Freiheiten und liess ihn auch die eigenen Ideen einbringen.“ Was Noser ebenfalls noch heute beeindruckt: „Imholz gab jedem eine Chance, egal woher er kam.“ Auf Dinge wie akademische Weihen oder Studienabschlüsse habe er keinen Wert gelegt: „Was zählte, war die Leistung.“
Der Pilger-Trick
Dazu gehörte ein ausgeprägtes Improvisationstalent in der Reiseleitung – beispielsweise bei den ersten Charterflügen nach Israel. Noser erzählt: „Wir besassen die Flugrechte nach Eilat am Roten Meer. Doch unser Ziel war es, auch Reisen nach Tel Aviv anbieten zu können.“ Imholz setzte diesen Plan unkompliziert um und schrieb die Arrangements aus – obwohl er die Landeerlaubnis noch nicht besass. Selbst vier Tage vor Reiseantritt fehlte das wichtigste Papier. Als die Zeit allmählich knapp wurde, formulierte Hans Imholz den Reisegrund der Gruppe neu. Er erklärte dem israelischen Verkehrsministerium, dass er eine Gruppe von christlichen Pilgern ins Heilige Land bringe. Die Finte gelang. In Tel Aviv schalteten die Ampeln für Imholz quasi über Nacht auf grün. „Wir gaben aber jedem Kunden ein Pilgerbüchlein mit“, erklärt Noser die flankierenden Massnahmen.
Diese Episode bringt den Erfolg von Hans Imholz auf den Punkt. Der Vollblutunternehmer besass das Gefühl für geschäftliche Entwicklungen und ein situatives Gespür wie kaum ein zweiter. Stellvertretend sagt der frühere Kuoni-Chef Kurt Heiniger: „Hans Imholz hat uns damals alle vorgeführt.“ 60 Jahre nach Firmengründung lächelt der Angesprochene sanft. Beweisen muss er sich schon lange nichts mehr. Zusammen mit seiner Doris lebt er zurückgezogen an der Zürcher Goldküste und erfreut sich an Besuchen im Kunstahaus und in der Tonhalle. Und dank einer soeben erschienen Biographie kann er sich einen alten Menschheitstraum erfüllen: die Reise zurück in die Vergangenheit. „Ich erlebe meinen beruflichen Erfolg gerade nochmals“, sagt er und lächelt ebenso zufrieden wie eine berühmte Figur aus der Märchenwelt: Hans im Glück!
„Hans Imholz – Der Reisepionier“ Thomas Renggli. Mit einem Vorwort von Michael Ringier. 256 Seiten, 16×23cm, gebunden, Hardcover, mit zahlreichen Bildern. ISBN 978-3-03922-105-9 CHF 39.– | EUR 30.–