Vor einigen Wochen noch strahlte die Schweizer Leichtathletik im hellsten Glanz. Nun steht sie vor einem Scherbenhaufen. Nachdem die Fabelzeiten des Sprinters Alex Wilson an einem Provinzmeeting in den USA zunächst noch mit einer zu kurzen Bahn oder unpräziser Zeitmessung erklärt wurden, scheint der wahre Grund das ganze Schlamassel aufzudecken: Wilson war gedopt!
Der Sportler ist fassungslos und erklärt den positiven Befund mit kontaminiertem Rindfleisch, das er in rauen Massen verzehrt habe. Soll man das Glauben? Eher nein! Schliesslich sagte Wilson schon bezüglich seinen phänomenalen Bestzeiten sowie der Zusammenarbeit mit dem lebenslang gesperrten jamaikanischen Trainer Raymond Stewart nicht die ganze Wahrheit.
Mit der phantasievollen Erklärung für seinen positiven Test ist Wilson in bester Gesellschaft. Die Auswahl an faulen Ausreden in Sachen Doping ist länger als die Liste der verbotenen Substanzen: Sie reicht von schlechtem Fisch über Manipulation durch Gegner bis zu verseuchter Zahnpasta. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Belgiens Rad-Idol Frank Vandenbroucke erzählte den Dopingfahndern, die verbotenen Asthmamittel seien für seinen Hund bestimmt gewesen. Der amerikanische Sprinter Dennis Mitchell führte seine erhöhten Testosteronwerte auf eine wilde Liebesnacht und den üppigen Bierkonsum zurück. Martina Hingis erklärte den positiven Kokainbefund mit der Unzulänglichkeit des Barkeepers: „Jemand hat es mir in den Orangensaft getan.“
So oder so: Die Schweizer Leichtathletik hat ein Problem. Denn schon die Erklärung von Hürdenläufer Kariem Hussein zu seinem positiven Dopingbefund wirft mehr Fragen auf als dass sie beantwortet. Wie kann ein Arzt bezüglich der Zusammensetzung eines Medikamentes (Coramin) den Unwissenden spielen, das von vielen Wanderern und Hobby-Langläufern gegen Müdigkeit verwendet wird und auf dessen Packungszettel explizit davor gewarnt wird, dass es wegen der leistungssteigernden Wirkung von Nikethamid eine positive Dopingkontrolle bewirken kann?
Ist der Fall Hussein tatsächlich nur eine „Absurdität und Banalität“ wie es der Sportler selber an einer Online-Medienkonferenz sagte? Szenenkenner bezweifeln dies und werfen den Verdacht auf, dass die Coramin-Ausflucht bloss ein Ablenkungsmanöver sein könnte – dass Hussein tatsächlich Substanzen verwendet habe, die weit härtere Sanktionen nach sich ziehen würden. Als Arzt hat er schliesslich unbeschränkten Zugang zu allen Präparaten. Die Wahrheit wird man vermutlich nie erfahren. Denn der Leichtathletikverband und Swiss Olympic werden alles machen, um ihren früheren Vorzeigeathleten zu schützen. Die Geprellten sind die Zuschauer, die an die Illusion des fairen Wettkampfs glauben, die Leichtathletik, die in den vergangenen Tagen viel von ihrer Glaubwürdigkeit verloren hat – und letztlich auch Hussein selber, der neben seiner Sportkarriere auch die Zukunft als Arzt gefährdet. Denn wer möchte sich schon von einem Mediziner behandeln lassen, der nicht einmal die Nebenwirkungen von rezeptfrei erhältlichen Medikamenten kennt?
Thomas Renggli