Ich bin auch eine Post. Seit einigen Wochen kann man in der Bäckerei Fischer in Ebmatingen nicht nur Vollkornbrötchen und süsse Confiserie kaufen, sondern auch Briefmarken und farbige Glückwunschkarten. Jobsharing war früher, heute heisst es Multitasking. Und dies ist für das Fischer-Personal kein Problem. Erforderte die Ausbildung zum Posthalter früher eine mehrjährige Berufslehre, wurden die Adhoc-Pöstler(innen) an der Stuhlenstrasse an zwei Nachmittage in den Glanz des gelben Riesen befördert. Gewisse Verwirrung ist bei dieser Schnellbleiche allerdings nicht ausgeschlossen. Als ich neulich einen Brief nach Wil schicken wollte, reichte mir die freundliche Mitarbeiterin ein St. Galler Brot – und als ich mich nach dem Preis für eine Paketsendung nach Zermatt erkundigte, erhielt ich ein Gipfeli. Doch schon nach kurzer Anlaufzeit sind diese Kinderkrankheiten ausgemerzt. Zwar war vergangene Woche die Brotauslage schon um 11.15 leergefegt, dafür wurde ich sofort über den B-Post-Preis für ein Grosscouvert nach Solothurn informiert.
Mit ihrem branchenübergreifendem Dienst setzen die backenden Pöstler den Trend – und rufen Nachahmer auf den Plan. Die Coop-Getränkehandlung in Ebmatingen will ebenfalls diversifizieren und künftig Kinderbetreuung über Mittag anbieten. Die Elektromonteure von Unholz gehen ab Herbst mit den Hunden Gassi, Radio TV Bindschädler bietet nicht nur die besten Flachbildschirme weit und breit an, sondern will sein Sortiment um veganes Essen und Yogakurse erweitern. Zahnarzt Gabriel stopft auch Löcher in Kinderjeans, die immer freundliche Frau Jafari von der Schneiderei Fingerhut hilft ab sofort beim Ausfüllen der Steuererklärung, und nebenan kann man im Fachgeschäft für Braut- und Festmode schon bald Therapiesitzungen für Ehe- und Partnerschaftsberatungen buchen. Last but not least stellt der Werkhof auf 24-Stunden-Betrieb um und lanciert seinen eigenen Partyservice (Altglasentsorgung inbegriffen).
Wer nun denkt, dies sei alles ein wenig übertrieben, kann beruhigt sein. Bei meinem Bruder in der Genossenschaftsüberbauung im trendigen Zürcher Stadtkreis 5 wird mit härteren Bandagen gekämpft. Die ständig lächelnde Frau Moser im Parterre übernimmt während der Ferien sehr zuverlässig die Betreuung des Kanarienvogels. Und auch den Briefkasten leert sie täglich. Im Verdeckten arbeitet sie aber auch für die Stadtpolizei. Wer länger als 90 Minuten in der blauen Zone parkiert, hat eine 40-Franken-Busse unter dem Scheibenwischer. Postwendend.
Thomas Renggli