„Reisen bildet“, sagt der Volksmund. In Covid-Zeiten trifft dies doppelt und dreifach zu. Als Sportreporter war das Flugzeug früher fast wie ein zweites Wohnzimmer für mich. 16 Eishockey-Weltmeisterschaften, sechs Olympische Spiele, Dutzende von internationalen Fussballspielen. Zeitweise hatte ich mehr russische Visa im Pass als Ferientag pro Jahr. Mit der Pandemie änderte sich aber alles. Das Leben wurde quasi gegroundet, die Eventkultur global gestrichen. Man begegnete den Interviewpartnern nicht mehr persönlich, sondern nur noch via Zoom, WhatsApp oder Livestream.
Erst Impfung und Covid-Zertifikat öffneten das Tor zur Welt wieder. Die Flugbewegungen haben zwar noch längst nicht das vorpandemische Niveau erreicht, doch mittlerweile hält man eine Linienmaschine der Swiss nicht mehr für ein UFO. Auch ich setzte mich unlängst das erste Mal seit fast zwei Jahren wieder in einen Flieger, um vom Halbjahreskongress des Internationalen Eishockeyverbandes (IIHF) in St. Petersburg zu berichten. Dabei wurde mir schonungslos in Erinnerung gerufen, dass nichts mehr ist wie früher – abgesehen vom Ringen mit der russischen Botschaft im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Visumsausstellung.
Impftechnisch herrschen zwischen Moskau und Schengen Zustände wie im kalten Krieg. Die Schweiz akzeptiert den Sputnik-Impfstoff nicht. Und Russland verweigert unseren Vakzinen die Anerkennung. Dies führt dazu, dass man ohne einen negativen PCR-Test (der nicht älter ist als 72 Stunden) die Reise gen Osten nicht in Angriff nehmen kann. Und weil Testergebnisse in dieser Zeitspanne exklusiv am Flughafen Kloten erhältlich sind, führt dies zu einer Warteschlange, die noch länger ist, als wenn in Wimbledon die letzten Finaltickets angeboten werden.
In Russland selber herrscht dann allerdings Tauwetter. Trotz steigenden Fallzahlen scheint Präsident Vladimir Putin Covid auszublenden. Im Strassenbild sind Masken eine Seltenheit, und auch in Innenräumen geben sich höchstens ausländische Gäste bedeckt. Zwar ist erst ein Drittel der russischen Bevölkerung geimpft, doch scheint man darauf zu vertrauen, dass Corona quasi per staatlichem Dekret beendet wird. Trotzdem kriegte ich meine Dosis Corona-Prophylaxe in hoher Konzentration ab. Weil wir uns am IIHF-Kongress quasi in einer geschlossenen Blase befanden, mussten wir uns jeden zweiten Tag testen lassen. Das war nichts Schönes für die Nase.
Wer denkt, die russischen Richtlinien sind im internationalen Vergleich streng, wird spätestens bei der Rückkehr in die Schweiz eines Besseren (oder Schlechteren) belehrt. Denn seit einigen Wochen verlangt die Eidgenossenschaft von jedem Einreisenden ein ausgefülltes Formular. Wer nicht geimpft oder genesen ist, muss ausserdem ein negatives Testergebnis vorweisen. Und wer ohne den Fackel vom Zoll erwischt wird, bezahlt 100 Franken. Widerstand zwecklos.
Doch dies konnte mein neues Reisefieber nicht lindern. So entschied ich mich mit meiner Familie, die neue Freiheit für Badeferien auf Zypern zu nutzen. Glücklicherweise war in den Medien zu lesen, dass das Covid-Zertifikat exakt den Angaben im Reisepass entsprechen muss. Und weil in der ursprünglichen Version mein zweiter Vorname (Stefan), den ich allerdings in meinem Leben noch nie bewusst verwendet hatte, fehlte – beantragte ich ein neues Dokument. Nun schien der Weg frei auf die Insel der Aphrodite. Doch Zeus hatte etwas dagegen.
Als ich beim Einchecken am Terminal 2 in Kloten die Koffer aufgeben wollte und voller Freude mein Covid-Zertifikat (mit dem zweiten Vornamen) zeigte, forderte mich die grimmig dreinblickende Frau am Schalter ultimativ auf, den „Cyprus Flight Pass“ zu zeigen. Ich war völlig überrumpelt und auf dem falschen Fuss erwischt. Mit dem Handy war das Ausfüllen des entsprechenden Formulars unmöglich. Immer wieder landete ich in der digitalen Sackgasse – wo meine Legitimation für die Einreise unter den Richtlinien der Wiener Konvention gefordert wurde. Nach ungefähr einer Stunde mühsamen Tippens, einem Krach mit meiner Ehefrau (und mittleidigen Blicken der Mitreisenden) gab ich konsterniert auf. Im Dschungel der Paragraphen, Bedingungen und Bestätigungen war ich völlig verloren.
Ich wollte bereits aufgeben und den Ferien „good bye“ sagen, als mich ein Flughafenmitarbeiter darauf aufmerksam machte, dass mir am Schalter von „Intrapass“ im ersten Stock geholfen werden konnte. Und glücklicherweise stimmte dies. Ein rettender Engel stellte mir in zirka 40 Minuten die vier Flug-Pässe für Zypern aus – für je 50 Franken.
Mittlerweile sind wir schon vier Tage auf dieser wunderschönen Insel. Falls es sie interessiert: Das Wetter ist grossartig, das Meer noch immer 24 Grad warm, und das Essen im Hotel lässt nichts zu wünschen übrig. Doch der Heimflug naht – und damit die Rückkehr ins Covid-Dickicht. Gestern lag ein Brief auf dem Zimmer, in dem uns mitgeteilt wurde, dass der ominöse Flug-Pass nur acht Tage gültig ist – und dass für die restliche Zeit ein „Cyprus Safe Pass“ gefordert ist. Ich bin guten Mutes, dass wir auch diese Klippe umschiffen werden, um dann mit grossem Enthusiasmus das Schweizer Einreiseformular auszufüllen – und mit wehenden Fahnen nach Hause zurückzukehren.
Und die Moral dieses Tagebucheintrags. Das Corona-Virus kennt keine Grenzen. Aber der Traum vom grenzenlosen Europa gehört mittlerweile ins Reich der Märchen, Fabeln und Albträume.
Thomas Renggli